Die erste Abstraktion ist die, in der sich das Subjekt vom Ganzen separiert. Diese Abstraktion ist die Wurzel für alle anderen. Die Motivation ist es mit dem ‘Rest des Raumes’ zu interagieren, spielen zu können. Um das zu intensivieren vergisst man das man eigentlich Teil davon ist, man versteckt diese objektive Realität.

Fragmentiertes Ganzes

Man kann das große Ganze auf unendliche viele verschiedene Arten unterteilen. Einigen sich Menschen auf eine Art der Unterteilung bilden sie eine Weltanschauungs-Gemeinschaft (eine intersubjektive Realität). Als nächstes vergessen sie kollektiv das es nur eine mögliche Einteilung von vielen ist. Die intersubjektive Realität wird zu einer gefühlt objektiven Realität.

In der Physik versucht man das Ganze in einzelne Teile zu abstrahieren, diese zu verstehen, und zu einen Model zusammenzuführen, Stichwort Weltformel. Dann schließt sich der Kreis und das Ganze wird abstrakt. Das wurde bisher nicht erreicht und in diesem Jahrhundert sind die Anstrengungen auch nicht mehr so groß wie im letzten…

Beispiele für Unterteilungen

  • Handlungen: bewusst und unbewusst
  • Lebewesen: bewusst und unbewusst
  • Organismus: Zellen die dazugehören und externe Zellen (Menschliche Zellen mit menschlicher DNA vs 100 Billionen (!) Bakterien im Darm)
  • Physik: Mikroskopische Systeme, die der Quantenmechanik unterliegen, und makroskopische, die man klassisch behandeln kann und welche die Wellenfunktion der mikroskopischen Systeme bei Interaktion zum kollabieren bringen.
  • Moral: Gut und Böse, Richtig und Falsch
  • Organismus: Belebt vs Unbelebt
  • Unbewusstes: Persönliches und Kollektives
  • Nahrung und Medizin
  • Arbeit und Freizeit

Einige Abstraktionen sind seit tausenden Jahren gefestigt, wenn man die denken will muss man ziemlich tief graben. Andere sind durch die Evolution entstanden, sind das was das Verstehen überhaupt erst ermöglichen und definieren. Ohne sie hätte der Mensch nicht die Fähigkeit zu hinterfragen. Diese Abstraktionen zu verstehen ist deshalb ein schwieriges, vielleicht sinnloses Konzept. Man kann aber verstehen wie und warum sie entstanden sind, also etwa von welchen Umwelteinflüssen die Evolution gelenkt wurde.

Akzeptanz einer Abstraktion erlaubt gewisse Verhaltensweisen. Unterteilt man die Welt z.B. zwischen bewussten Menschen mit einer Seele und unbewussten Tieren ohne Seele, erlaubt einen das Tiere wie unbelebte Maschinen zu behandeln. Ihre Funktion es ist Fleisch zu produzieren. Man kann den Vorgang der Fleischproduktion dann ohne schlechtes Gewissen durch Massentierhaltung optimieren. Vor nicht allzu langer Zeit hat eine ähnliche Abstraktion die Sklavenhaltung ermöglicht. Sieht man die Erde an sich als unbelebt an, erlaubt das sie den Interessen des Menschen komplett hintenanzustellen. Raubbau an ihr zu betreiben, ihre Wälder abzuholzen, die selben Pflanzen hektarweise anzupflanzen, ihre Atmosphäre zu verändern, ihre Meere leer zufischen, sie mit Plastik zuzuschütten. Sie ist Mittel zum Zweck. Ein drittes Beispiel ist die Annahme, dass man die einzig wahre Religion auf seiner Seite hat, die Legitimation Gottes. Diese Wahrheit muss verbreitet werden, was einen erlaubt Andere zu töten und ihre Schätze zu rauben (Kreuzzüge, Inquisition).

Erwachsen werden heißt in unserer Kultur eine Art der Abstraktion zu akzeptieren, sie zu festigen und zu unterstützen1. Das Kind kennt wenig Abstraktionen, für das Kind ist die Welt offen. Eine Krise tritt ein wenn die akzeptierte Realität Risse bekommt. Erst macht man noch Pflaster drauf, irgendwann kann man die Risse nicht mehr ignorieren2. Eine Welt bricht zusammen. Aber sie war nicht echt, es war eine Abstraktion, die nicht mehr zeitgemäß war. War man komplett in der Abstraktion versunken, hat mir vollen Einsatz verstecken gespielt und vergessen, dass es ein Spiel war, wird es schwer sich auf eine neue Abstraktion einzulassen, bzw eine zu konstruieren.

Abstraktionen sind beliebig. Man kann eine konstruieren, mit der man als Subjekt möglichst gut in der Welt zurechtkommt. Eine die flexibel gegenüber Änderungen ist. Die Welt verändert sich sehr schnell, dogmatische Abstraktionen waren zwar durch ihre Stabilität sehr mächtig (man konnte Weltreiche auf ihnen aufbauen), aber ihre Zeit ist eben vorbei. Will man noch an Dogmas festhalten müssen diese Flexibilität beinhalten, was die Bedeutung des Wortes Dogmas aufweicht.

Es sollte eigentlich nicht nötig sein über das ganze Zeugs zu philosophieren, eigentlich sollte es im Hintergrund ablaufen, es sollte eine Abstraktion geben auf die sich alle Leute einigen, mit denen man zu tun hat. Es sollte überhaupt keine Möglichkeit geben über sowas zu denken, geschweige denn zu sprechen. Wie Fische die nicht über die Qualität des Wassers sprechen in dem sie schwimmen, weil sie gar nicht wissen dass sie im Wasser sind, kein Wort für Wasser haben.
In der Postmoderne ist es aber nötig. Durch den Austausch verschiedenen Kulturen wurde deutlich, dass mehrere Weltreligionen für sich beanspruchen die einzig Wahre zu sein. Für ihre Handlungen ist das eine essentielle Annahme, die man also auch nicht relativieren kann. Diese Spannung entlädt sich in sehr konkreten Ereignissen die große Wellen schlagen, z.B. 9/11.

Wir sind zur Freiheit verdammt (Satre) und die Freiheit beinhaltet eben auch sich für eine Abstraktion zu entscheiden. Gott ist tot (Nietsche), und das ist keine gute Nachricht, das macht das ganze kompliziert, verstrickt, komplex.
Will man die Entscheidung für eine Abstraktion vernünftig treffen muss man fragen wer sie zu welchen Zweck entworfen hat oder unter welchen Umständen und historischen Begebenheiten sie gewachsen ist. Zu welcher Art von Realität führt sie? Wie behandelt sie die Schwächsten in der Gesellschaft? Wie ist Status in ihr definiert? Wer hat die Fäden in der Hand, wie ist die Macht verteilt? Betrachtet man eine neu konstruierte Abstraktion (eine Utopie) ist auch die Frage ob sie in die Zeit passt, also ob aus ihr eine intersubjektive Realität werden kann. Das sind schwierige Fragen ohne einfache Antworten, man braucht Geduld und einen kühlen Kopf.

Eine Stelle aus Musashi dazu, als Takuan Matahachi gerade noch daran hindert ein Attentat auf den Shogun zu verüben: »Ihr habt nicht die geringste Ahnung, von was für einer Wirklichkeit ich rede. Zweifellos weilt Ihr noch in Eurer Welt der Phantasie. Nun, da Ihr so einfältig seid wie ein Kind, nehme ich an, muß ich es Euch vorkauen ... Wie alt seid Ihr?« »Achtundzwanzig.« »Genauso alt wie Musashi.« Matahachi schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Takuan schwieg, bis sein Gegenüber sich ausgeweint hatte. Dann sagte er: »Ist es nicht erschreckend, wenn man bedenkt, daß der Kampferbaum ums Haar zum Grabdenkmal für einen Narren geworden wäre? Ihr wart dabei, Euch das eigene Grab zu schaufeln, ja, Ihr standet buchstäblich im Begriff, Euch hineinzulegen.« Matahachi schlang die Arme um Takuans Beine und flehte: »Rettet mich! Bitte rettet mich. Meine Augen . meine Augen wurden mir jetzt geöffnet. Daizo aus Narai hat mich verblendet.« »Nein, deine Augen sind keineswegs geöffnet. Und es war auch nicht Daizo, der dich verblendet hat. Er hat nur versucht, sich des größten Narren zu bedienen, der auf der Erde herumläuft: eines habgierigen, unverständigen, kleinlichen Dummkopfes, der gleichwohl die Tollkühnheit besaß, eine Aufgabe zu übernehmen, vor der jeder vernünftige Mensch zurückgeschreckt wäre.« »Ja ... ja ... ich war ein Tor.« »Wer, meint Ihr, ist dieser Daizo eigentlich?« »Ich weiß es nicht.« »Sein richtiger Name lautet Mizoguchi Shinano. Er war ein Vasall von Otani Yoshitsugu, der wiederum ein enger Freund von Ishida Mitsunari war. Der Shogun Mitsunari, so werdet Ihr Euch entsinnen, war einer der Verlierer der Schlacht von Sekigahara.« »N-n-nein«, hauchte Matahachi. »Dann ist Daizo ja einer der Krieger, nach denen das Shogunat fahndet.« »Was sonst soll jemand sein, der versucht, den Shogun zu ermorden? Eure Dummheit ist bodenlos!« »Das hat er mir nicht gesagt. Er hat nur betont, er hasse die Familie Tokugawa und halte es für besser, wenn die Toyotomi an der Macht wären.« »Ihr habt Euch nicht einmal die Mühe gemacht zu überlegen, wer er wirklich war, ja? Ohne auch nur ein einziges Mal Euren Kopf zu gebrauchen, seid Ihr mutig hingegangen, Euch das eigene Grab zu schaufeln. Eure Art von Mut hat etwas Erschreckendes, Matahachi.«



Anmerkungen:

  1. ironischerweise spielen also die Erwachsenen am intensivsten, weil sie vergessen haben, dass sie spielen. Sie sind komplett im Spiel versunken. 

  2. Zur Zeit ist die Ambiguitätstoleranz en vogue. Sie zu kultivieren heißt, offensichtliche Doppelmoral zu akzeptieren und an sich selber zu arbeiten sich nicht an ihr zu stören. Es ist faszinierend wie es das System immer schafft die Arbeit doch dem Individuum zuzuschieben… Schlägt man der Hydra einen Kopf ab, wachsen zwei nach.