Das Internet kann alles aufgreifen und ihm eine Plattform geben. Es ist eine Plattform auf der sich intersubjektive Strömungen entwickeln können, die weit von der Norm sind.
Das ist ein neuer Effekt. Vor dem Aufkommen des Internet waren die Plattformen für den Austausch folgenden Limitationen unterworfen:
- örtlich gebunden mit einigen Teilnehmern (z.B. Familie oder Stammtisch)
- örtlich ungebunden mit sehr wenigen Teilnehmern (Telefonanruf, Brief)
- örtlich ungebunden, einseitig (Fachzeitschriften, Zeitung, Radio, Fernsehen, Buch)
- örtlich gebunden, einseitig (Predigt in der Kirche)
- örtlich gebunden, langsam, aufwendig (fachliche Tagung)
Den bisherigen Plattformen ist gemein, das sie entweder moderiert/zensiert waren oder nur eine sehr begrenzte Anzahl an Teilnehmern hatten. Stellt man sich die Verteilung der Ideen, die die Menschen haben wie eine Gauß-kurve vor, bei der die allermeisten Ideen aus der Mitte stammen, es aber immer auch Ausreißer gibt, so konnten sich die Ausreißer nicht ausbreiten; Ideen waren harten Filtern unterworfen. Die sind weggefallen, es gab eine Demokratisierung von Ideen.
Dann hat sich Normalität zu etwas schlechten, langweiligen entwickelt. Jeder wollte lieber seine Nische, weg von der Mitte. Früher war das mit einer gewissen Isolation verbunden. Heute kann man durch die Möglichkeit von homogenen abgeschlossenen Filterblasen eine noch so abstruse subjektive Realität zu einer intersubjektiven Realität entwickeln.
Prä-Internet war die Ablehnung von Normalität sinnvoll; sie war ein Gegenpol zum kompletten Gleichmachen und ein Quell für neue Ideen und Innovation. Das hat sich geändert, zur Zeit sieht man einen Trend zur Fragmentierung der intersubjektiven Realitäten. Immer weniger Gruppen können sich auf eine Weltsicht einigen. Was revolutionär und ‘gegen das System’ ist hat sich also gewandelt. Es ist revolutionärer eine gemeinsame Basis zu finden als sich von der Mitte zu entfernen. Die Gleichdenkenden sind die neuen Andersdenkenden. Gemeinsamkeiten finden statt zu Spalten ist die neue Gegenkultur.
Extreme Meinungen erzeugen wenn sie Fahrt aufnehmen genauso extremen Widerstand. Die Linken, liberalen haben in letzter Zeit verstärkt auf Verbote gesetzt und aufs Appellieren ans Bewusstsein der Menschen. Sie haben an die höheren Anteile des Bewusstseins appelliert, an dass Schöne, Wahre, Gute. Sie stehen bei den meisten Themen (z.B. Klimawandel, Wegfallen von Jobs für Menschen, Menschenrechte, Toleranz, Massentierhaltung, Artensterben…) auf der richtigen Seite, haben aber noch keine Methode gefunden richtig damit umzugehen. Im Moment sind die Reaktionen bei dem geringsten (so interpretierten) Fehlverhalten extrem, Stichwort Cancel culture. Irgendwie führt das dazu, dass nicht nur in Amerika 50% das genaue Gegenteil wählen… Die Fragmentierung macht es einfacher die einzelnen Gruppen gegeneinander auszuspielen. Das dient nicht den Menschen und dem Planeten, sondern stärkt den Status Quo des Systems. Es ist ein bisschen paradox (aber nicht sehr); wenn man das System mit zu radikalen Methoden verändern will spielt man ihm in die Hände. Divide et impera - Teile und herrsche auf Steroiden - powered by social media.