Zur Zeit kann man die Filme von Wim Wenders in der ARD Mediathek umsonst und in HD streamen. Ich hab die Chance genutzt und ‘Der Himmel über Berlin’ nochmal angeschaut. Ein wunderschöner Film über einen Engel der Mensch werden will. Die Engel können im Film die Gedanken der Menschen hören. Einige solche Gedanken haben sich mir eingeprägt.

Der Himmel über Berlin von Wim Wenders

Monolog eines Chauffeurs über Grenzen Gibt es noch Grenzen? Mehr denn je. Jede Straße hat ihren eigenen Grenzbalken, oder Grenzstrich. Zwischen den einzelnen Grundstücken gibt es einen Niemandslandstreifen, getarnt durch eine Hecke oder einen Wassergraben. Wer da hineingerät, überfällt spanische Reiter da. Oder wird getroffen vom Laserstrahl. Die Forellen im Wasser sind in Wirklichkeit Zitterrochen. Jeder Hausherr oder auch Wohnungseigentümer nagelt sein Namensschild als Wappen an die Tür und studiert die Morgenzeitung als Weltherrscher. Das deutsche Volk ist in so viele Kleinstaaten zerfallen als es einzelne Menschen gibt. Und die einzelnen Staatsgebilde sind beweglich. Jeder trägt das seine mit sich herum und verlangt eine Übertrittsgebür, wenn ein anderer es betreten will in Form einer in Bernstein eingeschlossenen Fliege oder eines Bocksbeutels. Das nur für die Grenze, aber weiter ins Innere eines jeden Kleinstaates kommt man nur mit den jeweiligen Losungswörtern. Die Deutsche Seele der Gegenwart erobert nur der und kann nur der führen, der jedem einzelnen Kleinstaatler mit dessen paar Losungswörtern kommt. Zum Glück ist gegenwärtig niemand in der Lage dazu. So schwärmt jeder für sich ins Ausland und läßt in allen Himmelsrichtungen seinen Einmannsreichswipfel flattern. Auch seine Kinder schütteln schon die Nase und ziehen ihre Scheiße in Kreisen um sich.


Manchmal treffen sich die Engel auch und berichten sich gegenseitig, was sie so mitbekommen haben Cassiel: Sonnenaufgang 7 Uhr 22. Sonnenuntergang 16 Uhr 28. Mondaufgang 19 Uhr 04, Monduntergang, Wasserstand von Havel und Spree. Vor zwanzig Jahren stürzte ein sowjetischer Düsenjäger nahe der Spanndauerheerstraße in den Stößensee. Vor 50 Jahren war... Damiel: die Olympiade. Cassiel: Vor 200 Jahren überflog Nicolas Francois Blanchard die Stadt in einem Heißluftballon. Damiel: Das haben die Flüchtlinge neulich auch getan. Cassiel: Und heute: in der Lilienthaler Chausee ist einer gegangen, ist dann immer langsamer geworden und dann über die Schulter ins Leere geschaut. Im Postamt 44 hat einer, der heute Schluß machen will, auf all seine Abschiedsbriefe Sondermarken geklebt. Auf jede eine andere. Und hat dann draußen auf dem Marianenplatz mit einem amerikanischen Soldaten Englisch geredet, zum ersten Mal seit seiner Schulzeit, und zwar fließend. In der Strafanstalt Plötzensee hat ein Häftling, bevor er mit dem Kopf gegen die Wand gerannt ist, 'JETZT' gesagt. An der U-Bahn Station 2 rief der Beamte statt des Stationsnames plötzlich das Feuerland aus. Damiel: Schön. Cassiel: In den Rebergen las ein alter Man einem Kind aus der Odysee vor und der kleine Zuhörer, der dabei ganz zu blinzeln aufhörte. Und du, was hast du zu erzählen? Damiel: Eine Passantin, die mitten im Regen den Schirm zusammenklappte - und sich naß werden ließ. Ein Schüler, der seinem Lehrer beschrieb, wie ein Farn aus der Erde wächst. Und der staunende Lehrer. Eine Blinde, die nach ihrer Uhr tastete, als sie mich spürte. Es ist herrlich, nur geistig zu leben und Tag für Tag für die Ewigkeit von den Leuten rein was Geistiges zu bezeugen. Aber manchmal wird mir meine ewige Geistesexistenz zu viel. Ich möchte da nicht mehr so ewig drüberschweben. Ich möchte ein Gewicht an mir spüren, das die Grenzenlosigkeit an mir aufhebt und mich erdfest macht.


Cassiel fragt Damiel ob er wirklich Mensch werden will. Der erklärt seine Motivation. Cassiel: "Und du willst wirklich?" Damiel: "Ja. Mir selber eine Geschichte erstreiten. Was ich weiß von meinem zeitlosen Herabschauen verwandeln ins Aushalten eines jähen Anblicks, eines kurzen Aufschreies, eines stechenden Geruchs. - Ich bin schließlich lange genug draußen gewesen, lang genug abwesend, lang genug aus der Welt. Hinein in die Weltgeschichte. - Oder auch nur einen Apfel in die Hand genommen. Schau, die Feder dort auf dem Wasser! Schon verschwunden. Schau die Bremsspuren auf dem Asphalt! Und jetzt die Zigarettenkippe, wie sie dahin rollt. Und wie der vorzeitliche Fluß versiegt und nur noch die heutigen Regenlachen zittern. Weg mit der Welt hinter der Welt!"


Kein Wunder, dass sich Damiel in Marion verliebt, sie ist ja selber ein Engel Marion: "Ich könnte nicht sagen, wer ich bin. Ich habe nicht die geringste Ahnung von mir. Ich bin jemand ohne Herkunft, ohne Geschichte, ohne Land, und darauf bestehe ich. Ich bin da, bin frei. Ich kann mir alles vorstellen, alles ist möglich. Ich brauche nur aufzuschauen und schon werde ich wieder - die Welt - jetzt, auf diesem Platz. Ein Gefühl von Glück, das ich immer behalten könnte."


Das Thema des Filmes ist sehr ähnlich zu Hermann Hesses Steppenwolf. Darin lässt sich der vergeistigte selbsternannte Steppenwolf Harry Haller auch nochmal aufs Leben ein, auch motiviert von einer Künstlerin. Ich finde auch Homo Faber von Max Frisch hat ein ähnliches Thema.