Cannabis: Der Sonderfall
Die schwierige Einordnung
Cannabis ist das Chamäleon unter den psychoaktiven Substanzen. Es passt in keine der etablierten Kategorien, und genau das macht es interessant. Während LSD, Psilocybin und DMT unzweifelhaft zu den klassischen Psychedelika gehören, Ketamin ein Dissoziativum ist und MDMA primär als Entaktogen wirkt, bewegt sich Cannabis irgendwo dazwischen. Es ist weder Fisch noch Fleisch, weder eindeutig psychedelisch noch ausschließlich sedierend oder stimulierend. Diese Uneindeutigkeit hat historisch dazu beigetragen, dass Cannabis sowohl als harmloses Kraut als auch als gefährliche Einstiegsdroge dargestellt werden konnte, je nachdem, welche politische Agenda gerade bedient werden sollte.
Die wissenschaftliche Definition von Psychedelika ist klar: Substanzen, die primär als Agonisten oder partielle Agonisten am Serotonin-5-HT2A-Rezeptor wirken (Aghajanian 1999). LSD, Psilocybin, DMT und Meskalin erfüllen diese Kriterien eindeutig. Cannabis jedoch wirkt primär über das Endocannabinoid-System, genauer über die CB1- und CB2-Rezeptoren (AJEM 2023). THC ist ein partieller Agonist an beiden Rezeptoren, CBD hingegen ein schwacher Antagonist oder inverser Agonist. Doch die Sache ist komplizierter: CBD bindet tatsächlich an 5-HT2A-Rezeptoren, und THC aktiviert CB1-Rezeptoren, die Heteromere mit 5-HT2A bilden (Psychedelics Today 2024). Es gibt also einen Crosstalk zwischen den Systemen. Chronischer Cannabis-Konsum erhöht sogar die pro-halluzinogene Signalübertragung der 5-HT2A-Rezeptoren über den Akt/mTOR-Pfad (Galindo 2018).
Wenn man Cannabis mit anderen Grenzgängern vergleicht, zeigt sich ein Muster. MDMA gilt primär als Entaktogen, hat aber schwache psychedelische Effekte (Wikipedia 2024). Ketamin ist ein Dissoziativum, wird aber zunehmend in der psychedelischen Therapie eingesetzt. Cannabis wiederum kann in hohen Dosen durchaus psychedelische Erfahrungen auslösen, visuelle Verzerrungen, Zeitdilatation, veränderte Wahrnehmung des Selbst. Studien zeigen, dass Cannabis die psychedelische Erfahrung von Psilocybin dosisabhängig moduliert, wobei höhere Cannabis-Dosen sowohl die mystischen Aspekte verstärken als auch Angst und Paranoia erhöhen können (Uthaug 2022). Cannabis ist also kein klassisches Psychedelikum, aber es ist psychedelisch-adjacent. Ein atypisches Psychedelikum. Ein Sonderfall.
Wirkmechanismen: Zwei Systeme, eine Pflanze
Das Endocannabinoid-System besteht aus endogenen Cannabinoiden (primär Anandamid und 2-AG), Cannabinoid-Rezeptoren (CB1, CB2) und Enzymen, die diese Cannabinoide synthetisieren und abbauen (AJEM 2023). CB1-Rezeptoren sind hauptsächlich im zentralen Nervensystem lokalisiert, CB2-Rezeptoren im Immunsystem. THC dockt an beide an und erzeugt damit seine psychoaktive Wirkung: Euphorie, veränderte Zeitwahrnehmung, gesteigerte sensorische Wahrnehmung, manchmal Paranoia. CBD hingegen bindet schwach an Cannabinoid-Rezeptoren, wirkt aber über eine Vielzahl anderer Mechanismen: 5-HT1A-Agonismus, Modulation von GABA- und Glutamat-Signalen, Interaktion mit TRPV1-Rezeptoren.
Der entscheidende Punkt ist der Crosstalk zwischen dem Endocannabinoid- und dem Serotonin-System. Anandamid, das endogene Cannabinoid, kann sowohl CB1- als auch CB2-Rezeptoren aktivieren und dadurch die Serotonin-Modulation beeinflussen (AJEM 2023). Aber es geht auch anders herum: Die Aktivierung des 5-HT2A-Rezeptors führt zur Freisetzung von 2-AG, und Serotonin-Rezeptoren können das synaptische Feuern über die Freisetzung von Endocannabinoiden unterdrücken. THC bindet an den Heteromer-Komplex aus CB1 und 5-HT2A, CBD bindet direkt an 5-HT2A (Psychedelics Today 2024). Terpene wie Beta-Caryophyllen, Linalool und Limonen interagieren ebenfalls mit 5-HT2A und CB1, was möglicherweise die psychedelischen Effekte von Cannabis verstärkt.
Was bedeutet das praktisch? Es bedeutet, dass Cannabis je nach Dosis, Set, Setting und individueller Neurochemie völlig unterschiedlich wirken kann. In niedrigen Dosen: entspannend, anxiolytisch, leicht euphorisierend. In mittleren Dosen: Verstärkung sensorischer Wahrnehmung, Kreativität, veränderte Zeitwahrnehmung. In hohen Dosen: halluzinogene Erfahrungen, Paranoia, Depersonalisation. Die Variabilität ist enorm, und sie erklärt, warum Cannabis so schwer zu regulieren ist. Es ist kein Entweder-oder, sondern ein Spektrum.
Chronischer Cannabis-Konsum verändert die Rezeptordynamik nachhaltig. Studien zeigen, dass langfristiger THC-Gebrauch die Expression von CB1-5-HT2A-Rezeptor-Heteromeren in olfaktorischen Neuroepithelzellen erhöht (Galindo 2018). Cannabinoid-Rezeptor-Agonisten regulieren 5-HT2A-Rezeptoren hoch und verändern ihre Aktivität, während langfristige Cannabinoid-Aktivierung die 5-HT1A-Rezeptoren herunterreguliert. Das könnte erklären, warum chronische Cannabis-Konsumenten anfälliger für psychotische Symptome sind, besonders bei hochpotentem Cannabis. Die Forschung ist noch nicht abgeschlossen, aber der Mechanismus deutet darauf hin, dass Cannabis das Serotonin-System in Richtung pro-psychedelischer Signalübertragung verschiebt.
Die rassistische Geschichte des Cannabis-Verbots
Die Geschichte des Cannabis-Verbots in den USA ist keine Geschichte der Wissenschaft oder der öffentlichen Gesundheit. Es ist eine Geschichte des Rassismus, der Xenophobie und der institutionellen Machterhaltung. Und diese Geschichte beginnt nicht in den 1960er Jahren, nicht mit der Hippie-Bewegung oder der Gegenkultur, sondern in den 1910er Jahren, mit der mexikanischen Revolution und der darauffolgenden Immigration nach Norden.
Cannabis, damals meist als “cannabis” oder “hemp” bezeichnet, war in den USA bis ins frühe 20. Jahrhundert eine weitverbreitete Medizin. 1850 wurde es erstmals in der United States Pharmacopeia gelistet und blieb dort bis 1942 (Solomon 2020). Es gab keine großflächige Hysterie, keine moralische Panik. Doch mit der mexikanischen Revolution ab 1910 begann sich das zu ändern. Mexikanische Immigranten brachten die Tradition mit, Cannabis zu rauchen, “marihuana” zu nennen. Und plötzlich war Cannabis nicht mehr nur eine Medizin, sondern ein Symbol für das Fremde, das Gefährliche, das Andere.
Die Medien sprangen auf. Bereits 1913 schrieb die Salt Lake Tribune unter der Überschrift “Evil Mexican Plants that Drive You Insane”, dass Marihuana “den Raucher wilder als ein wildes Tier” mache (Solomon 2020). Anekdoten über durchschnittliche Menschen, die nach dem Rauchen von Cannabis zu Mördern wurden, füllten die Zeitungen. William Randolph Hearst, Besitzer einer riesigen Zeitungskette, hatte gleich mehrere Gründe, Cannabis zu dämonisieren: Er hasste Mexikaner, hatte massiv in die Holzindustrie investiert (und wollte keine Konkurrenz durch Hanfpapier) und hatte 800.000 Acres Timberland an Pancho Villa verloren (FEE 2024). Hearsts Zeitungen publizierten einen stetigen Strom von Anti-Cannabis-Geschichten.
Der Architekt des Verbots aber war Harry J. Anslinger. 1930 wurde er zum ersten Direktor des Federal Bureau of Narcotics ernannt, ausgerechnet von Andrew Mellon, dem Finanzminister und Onkel seiner Ehefrau (CBS 2016). Anslinger, ein glühender Verfechter der Prohibition, hatte zunächst erklärt, Cannabis sei keine große Sache, die Idee, es mache Menschen wahnsinnig oder gewalttätig, sei eine “absurde Täuschung”. Doch als die Alkohol-Prohibition 1933 endete, stand sein Bureau plötzlich ohne Aufgabe da. Anslinger brauchte einen neuen Feind. Er fand ihn in Cannabis.
Anslingers Kampagne war von Anfang an rassistisch. Seine Aussagen sind dokumentiert und schockierend, selbst für die 1930er Jahre. “Reefer makes darkies think they’re as good as white men” (Britannica 2025). “There are 100,000 total marijuana smokers in the US, and most are Negroes, Hispanics, Filipinos, and entertainers. Their Satanic music, jazz and swing, results from marijuana use. This marijuana causes white women to seek sexual relations with Negroes, entertainers, and others” (Solomon 2020). “The primary reason to outlaw marijuana is its effect on the degenerate races” (FEE 2024). Anslinger behauptete, Cannabis fördere “interracial mixing”, zerstöre die soziale Ordnung, verwandle friedliche Menschen in Mörder.
Die wissenschaftliche Basis war nicht existent. Anslinger kontaktierte 30 Wissenschaftler, 29 sagten ihm, Cannabis sei keine gefährliche Droge (CBS 2016). Er ignorierte sie. Die American Medical Association diskutierte den Vorschlag, Cannabis zu verbieten, und 29 von 30 Apothekern und Vertretern der Pharmaindustrie lehnten ab. Einer nannte es “absoluten Unsinn” (Wikipedia 2024). Anslinger bewahrte nur die eine abweichende Meinung in den Bureau-Akten auf. Er sammelte Horrorgeschichten, wie die von Victor Licata, der angeblich high auf Cannabis seine Familie mit einer Axt ermordete. Jahre später stellte sich heraus: Licata hatte eine Familiengeschichte von Geisteskrankheiten, und es gab keine Beweise, dass er je Cannabis konsumiert hatte (CBS 2016).
1937 erreichte Anslinger sein Ziel: der Marihuana Tax Act wurde verabschiedet. Technisch ein Steuergesetz, faktisch ein Verbot, modelliert nach dem National Firearms Act von 1934 (OAH 2024). Durch die Beschränkung der Anzahl verkaufter Marihuana-Steuerstempel verbot das FBN faktisch den Verkauf und die Verteilung von Marihuana im ganzen Land. Unterstützt wurde die Kampagne durch Propagandafilme wie “Reefer Madness” (1936), der Cannabis als Weg in den Wahnsinn, die Gewalt und die sexuelle Ausschweifung darstellte. Der Begriff “marijuana” selbst war Teil der Strategie: Er sollte die Fremdheit der Droge betonen, sie mit mexikanischen Immigranten verknüpfen (NAACPLDF 2024).
Die Nixon-Administration setzte die Linie fort, subtiler, aber nicht weniger zynisch. 1970 wurde der Controlled Substances Act verabschiedet, der Cannabis neben Heroin als Schedule-I-Droge einstufte, also als Substanz ohne medizinischen Nutzen und mit hohem Missbrauchspotenzial (Solomon 2020). Nixon hatte eine Kommission unter Raymond Shafer eingesetzt, um die Gefahren von Cannabis zu belegen. Die Kommission kam zum gegenteiligen Schluss: Cannabis sollte entkriminalisiert werden. Nixon ignorierte den Bericht. Der War on Drugs war erklärt, und Cannabis war das Hauptziel. Jahrzehnte später bestätigte John Ehrlichman, Nixons Berater für Innenpolitik, was viele bereits vermutet hatten: “We knew we couldn’t make it illegal to be either against the war or black, but by getting the public to associate the hippies with marijuana and blacks with heroin, and then criminalizing both heavily, we could disrupt those communities.”
Die globale Legalisierungswelle
Die Zeiten ändern sich. Bis 2025 haben fast 50 Länder Cannabis in irgendeiner Form legalisiert, für medizinische Zwecke, für Freizeitgebrauch oder beides (Cannabusinessplans 2024). Etwa 300 Millionen Menschen leben in Regionen mit reguliertem Zugang, primär in den USA (wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Staaten mit legalem Erwachsenengebrauch lebt), Kanada (landesweit seit 2018) und Uruguay (das erste Land, das 2013 vollständig legalisierte). In Europa experimentieren Deutschland und Malta mit Non-Profit-Vertriebsmodellen, Tschechien und Luxemburg erlauben begrenzten Eigenanbau, die Schweiz und die Niederlande führen Pilotprogramme für regulierte Erwachsenenproduktion durch.
Deutschland ist zum europäischen Vorreiter geworden. Nach der Verabschiedung von Schlüsselgesetzen im Jahr 2024 wird erwartet, dass das Freizeitcannabis-Framework 2025 vollständig ausgerollt wird (Mercury News 2025). Diese Entwicklung könnte Nachbarländer wie Frankreich und die Tschechische Republik inspirieren, ihre eigenen Legalisierungsbemühungen zu beschleunigen. Frankreich, traditionell konservativ in der Drogenpolitik, sieht wachsende öffentliche Unterstützung für Cannabis-Reform, und die Regierung steht 2025 unter zunehmendem Druck von Interessengruppen und wirtschaftlichen Stakeholdern, Deutschlands Beispiel zu folgen.
In Lateinamerika, einer Region mit tiefen historischen Verbindungen zum Cannabis-Anbau, stehen ebenfalls Veränderungen bevor. Kolumbien, das sich bereits als globaler Hub für medizinischen Cannabis-Export etabliert hat, erwägt eine vollständige Legalisierung, um seine Wirtschaft zu stimulieren und den illegalen Handel zu reduzieren (Mercury News 2025). Südafrika drängt auf Freizeitlegalisierung, die 2025 Realität werden könnte, was seine Position als regionaler Führer weiter festigen würde. Marokko, bereits ein dominanter Akteur im Cannabis-Exportmarkt, erkundet Wege, seine Industrie zu formalisieren und zu erweitern.
In den USA bewegt sich die Bundesregierung, wenn auch zögerlich. Im Oktober 2022 bat Präsident Biden das Department of Health and Human Services und die Drug Enforcement Administration, die Einstufung von Cannabis zu überprüfen (Moritz Law 2024). Im August 2023 empfahl HHS, Cannabis von Schedule I zu Schedule III zu verschieben. Im Mai 2024 schlug die DEA eine entsprechende Regel vor. Schedule III bedeutet: moderate bis niedrige Abhängigkeitsgefahr, medizinischer Nutzen anerkannt, nur auf Rezept legal. Nicht Legalisierung, aber Entkriminalisierung im medizinischen Kontext. Ein Hearing war für Dezember 2024 angesetzt, doch der Prozess zieht sich hin (Federal Register 2024). Cannabis bleibt vorerst Schedule I.
Die Kritik an dieser Halbherzigkeit ist massiv. Schedule III ändert nichts an der grundsätzlichen Illegalität auf Bundesebene, adressiert nicht die Diskrepanz zwischen Bundes- und Bundesstaatenrecht, hilft kaum den Hunderttausenden mit Cannabis-Verurteilungen (NORML 2024). Die meisten Cannabis-Strafverfolgungen finden auf Bundesstaatenebene statt, nicht auf Bundesebene. Schedule III würde jedoch der Cannabis-Industrie ermöglichen, Geschäftsausgaben steuerlich abzusetzen, was angesichts der hohen Betriebskosten und der Konkurrenz durch den Schwarzmarkt eine erhebliche Erleichterung wäre (Washington Post 2024). Für Forscher wäre es einfacher, Zugang zu Cannabis zu erhalten.
Die Monetarisierung: Ein Milliardenmarkt entsteht
Der globale legale Cannabis-Markt ist explodiert. Die Zahlen variieren je nach Quelle, aber die Größenordnung ist eindeutig: Der Markt wurde 2024 auf 33,8 bis 69,78 Milliarden USD geschätzt (GlobeNewswire 2025, Grand View 2024). Die Prognosen für 2030 bis 2034 reichen von 110 bis 248 Milliarden USD, mit jährlichen Wachstumsraten (CAGR) zwischen 13,49% und 31,7% (Zion 2024, Technavio 2024, GlobeNewswire 2025). Der medizinische Cannabis-Markt allein wurde 2024 auf 37 Milliarden USD geschätzt, mit einer Prognose von 68,6 Milliarden USD bis 2033 (CannabisMD 2025).
Nordamerika dominiert mit 71,69% des globalen Marktes 2024 (Grand View 2024). Die USA allein machten etwa 67% der nordamerikanischen Verkäufe aus, Kanada 33%. Die Anzahl lizenzierter Cannabis-Produzenten in Kanada stieg von 14 im Jahr 2018 auf 573 im Jahr 2021 (Technavio 2024). Die legale Cannabis-Industrie in den USA unterstützt mittlerweile 440.445 Vollzeitäquivalent-Arbeitsplätze (CannabisMD 2025).
Die Produktvielfalt hat sich massiv erweitert. Es geht längst nicht mehr nur um getrocknete Blüten. Öle, Tinkturen, Edibles, infundierte Getränke, transdermale Pflaster, Inhalatoren, CBD-Hautpflegeprodukte, CBD-Nahrungsergänzungsmittel, das Spektrum ist enorm. CBD, das nicht-psychoaktive Cannabinoid, dominierte 2024 mit 66,90% des Marktes (Grand View 2024). Die Nachfrage nach CBD für Schmerzlinderung, Angstreduktion und anti-epileptische Wirkungen wächst stetig. Technologie spielt eine zunehmende Rolle: genetisches Engineering zur Optimierung von Cannabinoid-Profilen, KI-gestützte Analytik für Anbaueffizienz, Blockchain für Supply-Chain-Tracking.
Der Boom hat auch eine Schattenseite. Die Cannabis-Industrie ist nicht so divers, wie sie sein könnte oder sollte. Trotz der Tatsache, dass schwarze und hispanische Communities überproportional von Cannabis-Prohibition und Strafverfolgung betroffen waren, sind sie in der legalen Industrie unterrepräsentiert. Viele Bundesstaaten haben “Equity Programs” eingeführt, um ehemaligen Strafgefangenen und marginalisierten Communities den Zugang zur Industrie zu erleichtern, aber die Umsetzung ist oft unzureichend (NAACPLDF 2024). In Massachusetts gibt es ein Equity-Programm für schwarze und hispanische Einwohner, die wegen Drogendelikten verurteilt wurden. Oklahoma debattiert, ob Ballot-Initiativen zur Freizeitlegalisierung auch Bestimmungen zur Löschung von Strafregistern enthalten sollten. Denn ohne Expungement können viele ehemalige Strafgefangene nicht in der Industrie arbeiten, obwohl sie die Expertise haben.
Das Cannabis-Paradox
Cannabis war nie so gefährlich, wie Harry Anslinger behauptete. Es macht Menschen nicht zu Mördern, es zerstört nicht die soziale Ordnung, es ist keine “Einstiegsdroge” im biologischen Sinne. Die wissenschaftliche Literatur der letzten Jahrzehnte ist eindeutig: Cannabis hat ein Suchtpotenzial (etwa 9% der Konsumenten entwickeln eine Abhängigkeit, verglichen mit 15% bei Alkohol und 32% bei Tabak), es kann bei vulnerablen Personen psychotische Episoden auslösen (besonders hochpotentes THC-Cannabis), und chronischer Konsum in der Adoleszenz kann die Gehirnentwicklung beeinträchtigen. Aber es ist bei weitem nicht so gefährlich wie Heroin, Methamphetamin oder Alkohol. Es hat medizinisches Potenzial, besonders bei chronischen Schmerzen, Epilepsie, Chemotherapie-induzierter Übelkeit. Kein Mensch ist je an einer Cannabis-Überdosis gestorben.
Das Verbot war nie wissenschaftlich begründet. Es war politisch, ökonomisch, rassistisch. Und die Kosten des Verbots waren enorm: Millionen von Verhaftungen, Hunderttausende im Gefängnis, zerstörte Leben, zerrissene Familien. In den USA werden schwarze Menschen trotz ähnlicher Konsumraten 3,64-mal häufiger wegen Cannabis-Besitzes verhaftet als weiße Menschen. Der War on Drugs war immer auch ein War on People of Color.
Die Legalisierung könnte diese Ungerechtigkeit korrigieren. Könnte. Aber die bisherige Umsetzung zeigt: Die Profiteure der Legalisierung sind oft nicht diejenigen, die unter der Prohibition gelitten haben. Weiße Unternehmer dominieren die Industrie, während schwarze und hispanische Communities weiterhin mit den Folgen ihrer Kriminalisierung kämpfen. Equity-Programme sind ein Anfang, aber sie reichen nicht aus. Solange Strafregister nicht systematisch gelöscht werden, solange der Zugang zu Kapital für marginalisierte Gruppen erschwert bleibt, solange die Regulierung so komplex ist, dass nur gut kapitalisierte Unternehmen sie navigieren können, wird die Legalisierung die historischen Ungerechtigkeiten nicht heilen, sondern neue schaffen.
Cannabis ist ein Sonderfall, nicht nur pharmakologisch, sondern auch politisch. Es ist die Substanz, an der sich zeigt, wie tief Rassismus in der Drogenpolitik verwurzelt ist. Wie Prohibition als Instrument sozialer Kontrolle missbraucht wurde. Und wie schwer es ist, diese Geschichte zu überwinden, selbst wenn die Gesetze sich ändern. Die wissenschaftliche Frage, ob Cannabis ein Psychedelikum ist, ist fast trivial im Vergleich zu der politischen Frage, wer von seiner Legalisierung profitiert und wer weiterhin die Kosten seiner Kriminalisierung trägt.