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Deutschlands biochemisches Katz-und-Maus-Spiel

Während die psychedelische Renaissance in kontrollierten klinischen Settings voranschreitet, entwickelte sich in Deutschland ab 2015 ein bizarres Paralleluniversum: ein legaler Markt für LSD-Derivate, sogenannte “Research Chemicals” oder Prodrugs, die im Körper zu LSD metabolisiert werden, aber durch minimale molekulare Modifikationen den geltenden Gesetzen entkamen.

Die Lizard-Labs-Ära

Der Pionier dieses Marktes war Lizard Labs, ein niederländisches Labor unter der Leitung des britischen Chemikers Alexander Stratford (Pseudonym “Al”). Zwischen 2012 und 2024 entwickelte das Unternehmen eine ganze Serie von LSD-Analoga: 1P-LSD (2015), 1cP-LSD, 1V-LSD, 1D-LSD, 1T-LSD und schließlich 1S-LSD. Jedes Derivat wurde als “legal alternative” vermarktet, bis der Gesetzgeber reagierte und die Substanz verbot, woraufhin prompt die nächste Variante erschien.

Stratford rechtfertigte sein Geschäftsmodell mit zwei Argumenten: Erstens sollte die psychedelische Erfahrung zugänglicher werden, da LSD relativ geringe Risiken habe. Zweitens sei die Qualität von Schwarzmarkt-LSD notorisch inkonsistent, manche Blotter enthielten gar kein LSD, andere völlig unkontrollierte Dosierungen.

Die Synthese eines neuen Derivats wie 1V-LSD dauerte etwa einen Monat. In einem Medienauftritt zeigte Stratford eine Phiole mit 3-4 Gramm 1V-LSD-Pulver, genug, um “vielleicht ein kleines Land zu dosieren”. 2022 führte eine internationale, von den USA angeführte Operation zur Razzia bei Lizard Labs; amerikanische Behörden warfen dem Labor vor, heimlich Fentanyl herzustellen. Elektronik wurde beschlagnahmt, Mitarbeiter befragt, aber keine Substanzen gefunden und keine Verhaftungen vorgenommen. Im Januar 2023 nahm Lizard Labs den Betrieb wieder auf Wikipedia 2024a.

Ende 2024 gab das Labor seine permanente Schließung bekannt. Die Begründung: “Der Betrieb in den Niederlanden ist zunehmend herausfordernd geworden” Stacker News 2024. Nach 12 Jahren war die Ära der europäischen LSD-Derivate-Produktion vorbei.

Der deutsche Sonderweg: NpSG und seine Lücken

Deutschland reagierte auf die Welle neuer psychoaktiver Substanzen 2016 mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG), einem Versuch, nicht mehr einzelne Moleküle zu verbieten, sondern ganze Stoffgruppen. Das Gesetz sollte verhindern, dass Hersteller durch minimale chemische Variationen ständig neue “legale” Substanzen auf den Markt bringen.

Doch die Chemiker blieben kreativ. Die Iteration verlief wie folgt:

  • 1P-LSD (2015): Verboten Juli 2019
  • 1cP-LSD (2020): Verboten 2021
  • 1V-LSD (2021): Verboten September 2022
  • 1D-LSD (2023): Verboten Juni 2024
  • 1T-LSD (2024): Verboten Juni 2024
  • 1S-LSD (Juli 2024): Die clevere Lösung, Einführung eines Siliziumatoms

Die NpSG-Novelle von 2024 verbot Lysergamide, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel, Fluor, Chlor, Brom und Iod bestehen. 1S-LSD fügte jedoch eine Trimethylsilyl-Gruppe hinzu; Silizium war nicht aufgelistet. Legal. Wieder Wikipedia 2024b.

Inzwischen kündigte sich bereits das nächste Verbot an. Laut LSD-Legal wird 1S-LSD voraussichtlich Anfang 2025 ebenfalls unter das NpSG fallen Happy Flower 2024.

Der Höhepunkt der Absurdität: LSD aus dem Automaten

Im Frühjahr 2024 erreichte die Situation ihren bizarren Kulminationspunkt: In Stuttgart, Mannheim und anderen deutschen Städten tauchten Verkaufsautomaten auf, die 1D-LSD offen verkauften, mitten in U-Bahn-Stationen, vor Dönerimbissen, neben Kiosken.

Die Firma “Mein CBD Deutschland” aus Bensheim betrieb mindestens zehn solcher Automaten. Wer 18 Jahre oder älter war, konnte für rund 20 Euro ein Päckchen “LSD Pappe” ziehen, 24 Stunden am Tag, ohne menschliche Interaktion. Auf der Verpackung: Gesundheitshinweise und der Verweis auf “Research Chemicals”. Eine Mitarbeiterin erklärte am Telefon: “1D-LSD wird erst im Körper selbst zu LSD und wirkt ganz ähnlich. Manche unserer Kunden nehmen das auf Partys, andere erzählten, es mache kreativ” Stuttgarter Zeitung 2024.

Die mediale Empörung war vorhersehbar. Der Landtag von Baden-Württemberg befasste sich mit dem Thema. Polizei und Staatsanwaltschaft erklärten, die Automaten seien “bekannt”, Details könne man aber nicht nennen. Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass die Empfehlungen bezüglich 1D-LSD “momentan überprüft” würden.

Am 14. Juni 2024 reagierte der Gesetzgeber: 1D-LSD und 1T-LSD wurden ins NpSG aufgenommen. Die Automaten verschwanden. Zwei Wochen später war 1S-LSD auf dem Markt Jungle World 2024.

Das Ökosystem: Zwischen Psychonautik und Geschäftsmodell

Parallel zu Lizard Labs entstand in Deutschland eine kleine, aber lebendige Szene von Händlern und Shops. “LSD-Legal”, 2021 von Dan Becker in Berlin gegründet, betrieb einen Online-Shop und ein physisches Geschäft in der Boxhagener Straße. Die Website präsentierte sich bewusst seriös: “Bei LSD-legal steht Vertrauen an erster Stelle.” Man bot Lieferung innerhalb von 1-2 Werktagen, persönliche Abholung im Laden, und betonte “Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung”.

Die Produkte: 1S-LSD in verschiedenen Dosierungen, von 50 µg “Flex Pellets” bis zu 300 µg “Extra Pellets”, dazu klassische Blotter (150 µg) und sogar Merchandise wie Schlüsselanhänger zur “optimalen Lagerung”. Alles mit dem Disclaimer: “Nur für Forschungszwecke. Nicht für den menschlichen Konsum” LSD-Legal 2024.

Als Lizard Labs Ende 2024 die Schließung ankündigte, schrieb LSD-Legal in einem Newsletter: “Die Produktion von 1S-LSD durch Lizard Labs endete bereits Ende 2024. Verkäufe erfolgen daher ausschließlich aus Restbeständen, die, nach aktuellen Informationen, bis zum Verbot reichen sollten” LSD-Legal 2024.

Was bedeutet das gesellschaftlich?

Das deutsche LSD-Derivate-Phänomen ist mehr als eine rechtliche Kuriosität. Es offenbart die fundamentale Dysfunktionalität der Substanzverbotspolitik im 21. Jahrhundert.

Die Absurdität der Prohibition: Während klinische Forscher wie Griffiths jahrelang um Genehmigungen kämpfen, um Psilocybin unter strengsten Sicherheitsbedingungen zu testen, konnte jeder Volljährige am Stuttgarter Rotebühlplatz LSD-Derivate aus einem Automaten ziehen, ohne therapeutischen Kontext, ohne Vorbereitung, ohne Integration. Der Staat verbot die Substanzen routinemäßig, doch jedes Verbot produzierte lediglich die nächste chemische Variante.

Das Scheitern der “Stoffgruppen”-Logik: Das NpSG sollte das Katz-und-Maus-Spiel beenden, indem es nicht einzelne Moleküle, sondern ganze Kategorien verbot. Doch die Chemie ist zu vielfältig. Mit einem einzigen Siliziumatom ließ sich 1S-LSD außerhalb der gesetzlichen Definition platzieren. Die nächste Iteration könnte Bor, Phosphor oder ein anderes Element verwenden. Die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt.

Der Verlust wissenschaftlicher Kontrolle: Im Gegensatz zur klinischen Renaissance basieren die LSD-Derivate auf minimaler Forschung. Über 1D-LSD gab es “kaum medizinische Untersuchungen und wissenschaftliche Arbeiten”, erklärte Maurice Cabanis, Ärztlicher Direktor für Suchtmedizin am Klinikum Stuttgart. Konsumenten wurden zu unwissentlichen Versuchsteilnehmern in einem unkontrollierten Massenexperiment.

Die gespaltene Psychedelika-Landschaft: Während Griffiths und seine Kollegen an der “Medikalisierung” von Psilocybin arbeiten, mit randomisierten Kontrollstudien, FDA-Zulassungen und pharmazeutischen Standards, existiert parallel eine wilde, gesetzlich fluktuierende DIY-Szene, die jede Art von therapeutischem Kontext ignoriert.

Diese Spaltung ist mehr als ein Kuriosum der deutschen Rechtslage. Sie zeigt die Spannung zwischen zwei unvereinbaren Visionen: der kontrollierten Integration von Psychedelika in die Schulmedizin versus der Idee, dass diese Substanzen außerhalb institutioneller Kontrolle existieren sollten, als Werkzeuge der Selbsterforschung, als Katalysatoren des Bewusstseins, als fundamentales Recht.

Die Automaten in Stuttgart waren nur ein Symbol. Das eigentliche Dilemma bleibt ungelöst: Wie geht eine Gesellschaft mit Substanzen um, die weder ins medizinische Modell noch ins prohibitive passen, die weder “Medikament” noch “Droge” sind, sondern etwas Drittes?

Der aktuelle Stand: Ende 2025

Am 21. November 2025 beschloss der Bundesrat die Sechste Verordnung zur Änderung der Anlage des NpSG. Das Wort “Silizium” wurde in die Gesetzesdefinition aufgenommen. Damit war 1S-LSD Geschichte Set & Setting 2025.

Die Verordnung trat am 2. Dezember 2025 in Kraft MyAcid 2025. Händler wie LSD-Legal stellten den Verkauf ein, die Restbestände waren aufgebraucht. Nach 12 Monaten Legalität war auch dieses Kapitel geschlossen.

Doch das Spiel ist nicht vorbei. Bereits vor dem Verbot tauchte 1SB-LSD auf, nur Tage vor dem 26. September, als ursprünglich mit dem Verbot gerechnet wurde. Es verschwand ebenso schnell wieder. Ende 2025 kursiert nun 1Fe-LSD, das neueste Derivat, dessen chemische Struktur und Wirkung erneut weitgehend unerforscht sind Set & Setting 2025.

Der entscheidende Unterschied zu früheren Iterationen: Lizard Labs, das niederländische Labor, das zwischen 2012 und 2024 die meisten Derivate entwickelte, existiert nicht mehr. Die Produktion von 1S-LSD endete bereits Ende 2024. Neue Derivate kommen nun von anderen, oft unbekannten Quellen, deren Qualitätskontrolle fraglich ist.

Im September 2025 gab es einen bemerkenswerten politischen Moment: Der Bundesrat schlug ein pauschales Verbot aller LSD-Derivate vor, eine “Stoffklassen”-Lösung, die das Katz-und-Maus-Spiel endgültig beenden sollte. Die Bundesregierung lehnte ab, mit Verweis auf das “Prinzip der Rechtssicherheit”, Gesetze müssten “klar und präzise formuliert” sein LSD-Legal 2025. Stattdessen: erneut das gezielte Verbot einer einzelnen Substanz.

Diese Entscheidung ist symptomatisch. Der deutsche Staat hat sich für einen Weg entschieden, der garantiert, dass das Spiel weitergeht. Jedes Verbot ist gleichzeitig eine Einladung zur nächsten chemischen Modifikation. Bor? Phosphor? Germanium? Die Möglichkeiten sind chemisch unbegrenzt, die regulatorische Erschöpfung absehbar.

Was bleibt?

Das deutsche LSD-Derivate-Phänomen offenbart die fundamentale Dysfunktionalität der Substanzverbotspolitik im 21. Jahrhundert.

Die Absurdität der Prohibition: Während klinische Forscher wie Griffiths jahrelang um Genehmigungen kämpften, um Psilocybin unter strengsten Sicherheitsbedingungen zu testen, konnte jahrelang jeder Volljährige am Stuttgarter Rotebühlplatz LSD-Derivate aus einem Automaten ziehen, ohne therapeutischen Kontext, ohne Vorbereitung, ohne Integration. Der Staat verbot die Substanzen routinemäßig, doch jedes Verbot produzierte lediglich die nächste chemische Variante.

Das Scheitern der “Stoffgruppen”-Logik: Das NpSG sollte das Katz-und-Maus-Spiel beenden, indem es nicht einzelne Moleküle, sondern ganze Kategorien verbot. Doch die Chemie ist zu vielfältig. Mit einem einzigen Siliziumatom ließ sich 1S-LSD außerhalb der gesetzlichen Definition platzieren. Die nächste Iteration verwendet vermutlich ein anderes Element. Die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt.

Der Verlust wissenschaftlicher Kontrolle: Im Gegensatz zur klinischen Renaissance basieren die LSD-Derivate auf minimaler Forschung. Konsumenten wurden zu unwissentlichen Versuchsteilnehmern in einem unkontrollierten Massenexperiment. Die Qualität variiert, die Reinheit ist fraglich, die Langzeiteffekte unbekannt.

Die gespaltene Psychedelika-Landschaft: Während die medizinische Forschung mit randomisierten Kontrollstudien, FDA-Zulassungen und pharmazeutischen Standards voranschreitet, existiert parallel eine wilde, gesetzlich fluktuierende DIY-Szene, die jede Art von therapeutischem Kontext ignoriert.

Diese Spaltung zeigt die Spannung zwischen zwei unvereinbaren Visionen: der kontrollierten Integration von Psychedelika in die Schulmedizin versus der Idee, dass diese Substanzen außerhalb institutioneller Kontrolle existieren sollten, als Werkzeuge der Selbsterforschung, als Katalysatoren des Bewusstseins, als fundamentales Recht.

Die Automaten in Stuttgart waren nur ein Symbol. Das eigentliche Dilemma bleibt ungelöst: Wie geht eine Gesellschaft mit Substanzen um, die weder ins medizinische Modell noch ins prohibitive passen, die weder “Medikament” noch “Droge” sind, sondern etwas Drittes?

Die Geschichte der LSD-Derivate in Deutschland ist noch nicht zu Ende. Sie wird weitergehen, Molekül für Molekül, Verbot für Verbot, bis entweder die Chemie erschöpft ist oder die Politik kapituliert.

Die Prodrug-Problematik:

Dass diese Modifikationen die Substanzen sicherer machen würden, ist eine gefährliche Illusion. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Prodrugs sind Moleküle, die erst im Körper durch enzymatische Prozesse in ihre aktive Form umgewandelt werden müssen. Die LSD-Derivate sind pharmakologisch selbst weitgehend inaktiv, sie binden kaum an Serotoninrezeptoren und zeigen in Zellkulturen keine oder antagonistische Wirkung (Halberstadt 2020). Erst die Abspaltung der N1-Substitution durch körpereigene Enzyme wandelt sie in LSD um. Doch dieser Metabolisierungsprozess ist nicht standardisiert. Er hängt ab von individuellen genetischen Variationen in Cytochrom-P450-Enzymen (CYP2D6, CYP2E1, CYP3A4), von der Leberfunktion, von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (Klein 2025). Was bei einer Person in vier Stunden vollständig zu LSD hydrolysiert (Dolder 2020), kann bei einer anderen langsamer ablaufen oder unvollständig sein. Die Biokonversion ist unvorhersehbar.

Besonders problematisch: Mit längeren Acylketten sinkt die Effizienz der Hydrolyse dramatisch. 1DD-LSD (mit zwölf Kohlenstoffatomen) zeigte in Tierversuchen eine 27-fach geringere Potenz als LSD (Klein 2025), nicht weil es weniger wirksam wäre, sondern weil der Körper es kaum spalten kann. Das bedeutet: höhere Dosen nötig, längere Verweildauer im Körper, unbekannte Nebenwirkungen der nicht-hydrolysierten Verbindung. Konsumenten werden zu unwissentlichen Versuchsteilnehmern in Experimenten ohne Kontrollgruppe, ohne medizinische Überwachung, ohne informierte Einwilligung (The Conversation 2024). Die Forschung läuft parallel zum Konsum, nicht davor.

Diese Gefahren sind bekannt. Die wissenschaftliche Literatur dokumentiert sie seit Jahren. Wenn der Staat trotzdem an einer Verbotspolitik festhält, die systematisch zur Entwicklung immer unerforschterer Substanzen führt, dann kann der Schutz der Konsumenten nicht das handlungsleitende Prinzip sein. Die Logik ist eine andere: Jedes neue Derivat muss verboten werden, weil es verboten werden muss. Nicht weil es gefährlicher ist als LSD, sondern weil das Verbot selbst zum Selbstzweck geworden ist. Während klinische LSD-Studien jahrelang um Genehmigungen kämpfen, testen Tausende Deutsche neue Moleküle, deren pharmakologische Profile weitgehend unerforscht sind. Die therapeutische Renaissance und die unkontrollierte Selbstmedikation existieren in parallelen Universen. Der Staat hat sich entschieden, welche er bekämpft und welche er durch Untätigkeit ermöglicht.

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