Man kann mit einer Ideologie verschiedene Ziele verfolgen. Eine Philosophie kann missbraucht und instrumentalisiert werden. Wenn etwa Heinrich Himmler in seiner Posener Rede vor hundert SS Offizieren 1943 das Thema der Ansprache von Krishna an Arjuna aus der Bhagavad Gita aufgreift ist das ein deutliches Beispiel.

Diese Instrumentalisierung von Philosophie / Religion scheint ein festes Muster zu haben. Situationen aus einer alten Schrift, die eigentlich als Metapher oder Analogie verstanden werden wollen, werden aus dem Zusammenhang gerissen und wörtlich interpretiert. Sehr leicht kann man das mit Philosophien, die sich in fremden Kulturräumen gebildet haben, erreichen. Das eigene Volk ist mit diesen Ideen noch nicht vertraut und lässt sich deshalb leicht begeistern.

Die Kriegstreiber des zweiten Weltkriegs brauchten ein philosophisches Mittel um ihre Soldaten von ihren Skrupeln dem Morden gegenüber zu befreien.1 In der eigenen christlich judäisch geprägten Kultur fanden sie kein Mittel das fremd und mächtig genug dazu war. Die Loslösung vom eigenen Ichs und das Abgeben der Kontrolle und Verantwortung ans Ganze kam da genau richtig. Das war auch die Zeit in der man sich in Japan auf den Bushido, den Weg des Samurai zurück besonnen hat. Aufgabe der Autonomie und Unterordnung des ‘Ichs’ gegenüber des großen Ziels. Sich von der Knechtschaft der eigenen Emotionen befreien; sehr verlockend. Dieses Vakuum an Kontrolle kann dann aber auch von Mächtigen gefüllt werden.

Wird im Namen einer Idee schreckliches veranstaltet muss die Ideologie das mit sich rumtragen. Diesen Makel wird sie nicht mehr los. Früher war man sich der Macht von Ideen bewusst. Sie wurden gehütet und nur nach strengen Initiationsriten weitergegeben. Den Kern der Ideologie war nur einigen Weisen bekannt. Eine Gruppe von Menschen die nicht körperlich arbeiten mussten und sich deshalb der intellektuellen Arbeit widmen konnten. Sie hatten die Muse, Geduld und die Zeit das System zu verstehen und gegebenenfalls fein zu tunen. Die Orte an denen sie das taten waren entweder von starken Mauern bewacht oder in unzugänglichen Gebieten, etwa in den Bergen oder in der Wüste. An die Bevölkerung ist nur eine kleiner Teil, sehr verwässert und mit dem Fokus der Stabilitätserhaltung durchgesickert. Den Mönchen und Priestern dieser Religionen war auch eigen, dass sie keine eigenen Kinder hatten. Wahrscheinlich weil sie Menschen vom Volk brauchten. Menschen die im Laufe ihres Lebens Fetzen der Ideologie aufgeschnappt haben und so begeistert von ihr waren, dass sie den Weg beschreiten wollten. Durch langes und hartes Studium wurden diese empfänglichen Menschen Schritt für Schritt an den Kern der Ideologie herangeführt. Schicht für Schicht wurde sie ihnen freigelegt.
Ein gewisser Selbstschutzmechanismus ist auch vorhanden. Der Kern ist so abstrakt, das ihn der ungeschulte Betrachter gar nicht als etwas Besonderes erkennen würde. Die Kernbotschaft ist auch außerhalb des Ordens frei zugänglich. Eine besondere Art der Verwahrung eines Geheimnisses. Das Material ist allen zugänglich, der Code zur Entschlüsselung wird aber beschützt.
Das sieht man auch heute, im Zeitalter der Demokratisierung der Information. So gut wie alle Informationen sind, nicht zuletzt dank Whistleblowern wie Assange oder Snowden, frei verfügbar. Der offene Punkt ist die Interpretation. Das Kommentieren und das Einordnen von Informationen ist das worum es mittlerweile geht. Das ist auch logistisch einfacher. Müsste man sich um die Geheimhaltung von Unmengen an Daten und Informationen kümmern wäre das aussichtslos. Vielleicht ist es dem Interpretationsschlüssel verschiedener Kulturen eigen, dass man ihn nicht fälschen kann. Dass man den Weg gehen muss und es keine Abkürzungen gibt. In der Kultur, die die Ideologie hervorgebracht hat und von ihr geformt wurde sind diese Dinge implizit verankert. Sie bilden den Kern, sind aber nicht komplett statisch (da die Eliten ja keine Kinder bekommen und es somit einen Zufluss an Informationen aus der Außenwelt gibt). Ein Instrumentalisieren des Kerns von Mächtigen oder einer Kriegerkaste ist nicht möglich. Es gibt ausfallsichere Mechanismen die eine Manipulation des Volkes verhindern. In einer fremden Kultur gibt es die nicht, deshalb kann viel Schindluder damit getrieben werden.


Anmerkungen

  1. Die Blackmirror Folge Men Against Fire (Season 3, Episode 5) erkundet wie man genau diese Problematik in zukünftigen Kriegen lösen könnte.