Der Weg ist das Ziel

Das Sprichwort der Weg ist das Ziel sollte nicht unreflektiert und wörtlich genommen werden. Es ist eine hilfreiche psychologische Krücke um bei Zielen die weit weg liegen, viel Aufwand erfordern, oder deren Erreichen sich aus vielen Einzelschritten materialisiert, nicht aufzugeben. Auch kann es eine effektive Durchhalteparole sein, wenn das Ziel (noch) nicht bekannt ist.

Verwandt ist die Redewendung wohl mit Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist ist es nicht das Ende, oder die Nacht ist am dunkelsten bevor der Morgen kommt. Ich will den Nutzen solcher Parolen nicht bestreiten, und auch ihre Notwendigkeit nicht, primär weil aufgeben bei existenziellen Fragen keine Alternative ist, oder zumindest nicht sein sollte. Bevor man solche Kalendersprüche zu sehr verinnerlicht, oder wenn man merkt dass es dafür schon zu spät ist, kann man ja mal ein wenig reflektieren, zu welcher Realität sie führen können, und woher sie stammen. Die Motivation ist wieder mal, sich gegen Systeme abzusichern, die sie (bewusst oder unbewusst, implizit oder explizit) instrumentalisieren.

Der erste Verdächtige ist schnell gefunden – organisierte Religionen mit ihren Meme des Lebens nach dem Tod. Demnach ist dieses Leben eine Vorbereitung, nichts was man zu ernst nehmen sollte. Gibt es Ungereimtheiten die einen auffallen, soll man nicht zu genau hinsehen. Das ist nicht so wichtig, wichtig ist, das man ein frommes Leben führt um dann das Paradies genießen zu können. Kombiniert man das Leben nach dem Tod mit dem Weg als Ziel, ist es ein Wechsel des eigentlichen Ziels. Wenn das Paradies das eigentliche Ziel ist, der Weg dahin aber irgendwie auch das Ziel, so legitimiert das die Existenz organisierter Religionen in diesem Leben auf diesem Planeten, da sie ja den Weg hier zwar nicht notwendigerweise definieren, mindestens aber legitimieren. Davor, dass sich ihre Schäfchen all zu stark vergeistigen, schützt sie sich mit dem Sprichwort um das es hier geht – Der Weg (also das irdische Leben) ist das Ziel. Nicht zuletzt sichert sie sich damit erstens ihren Wohlstand, weil ja nur jemand Steuern an sie zahlen kann, der oder die auch ein Einkommen generiert, sich also auf dem Weg schon engagiert und nicht erst im fernen Paradies, und zweitens die Akzeptanz der säkular herrschenden Schicht, da diese einen Hebel hat die spirituellen Führer für weltliche Ziele einzuspannen.

Interessanterweise hat der Buddhismus mit dem Samsara, und der Hinduismus mit Maya ähnliche Memes. Es sind also nicht nur die abrahamitischen Religionen. Eine Beobachtung die man nutzen kann um den eigenen Humanismus zu stärken. Sieht man erstmal durch die oberflächlichen Unterschiede merkt man, dass viele große Kulturen auf existenzielle Fragen die selben Antworten und Strategien finden. Auch sehr relevant ist, dass die Fragen an sich auch einheitlich sind. Es dreht sich immer darum, wie man mit diesem seltsamen Phänomen der menschlichen Existenz (vor allem diesem Bewusstsein) umgeht. Nämlich mit einem gewissen Eskapismus, der immer auch einen Spin eingebaut haben muss, dass das Leben hier zwar nicht das echte, aber dennoch nicht ganz unwichtig ist. Es wird immer deutlicher, dass Religionen diese Art von Trost nur noch für eine geringer werdenden Teilmenge der Menschen bieten kann. Die Nachfrage nach Trost und Hoffnung in der existentiellen Wüste ist aber nach wie vor ungebrochen.

Vielleicht findet man eine säkularen, atheistischen Alternative, wie man ohne diese Memes eine konsistente, Hoffnung spendende Utopie entwerfen kann. Finden ist dabei die falsche Formulierung, man muss sie konstruieren. Dazu ist es vermutlich nötig ziemlich tief anzusetzen. Den Mensch neu zu denken, da er sich im aktuellen System zu sehr entfremdet hat.

Ein wenig halten die bestehenden Legitimationen noch, es ist jedoch keines Falls zu früh sich Gedanken über Neue zu machen.